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Moses Hess 18440703 Brief an Karl Marx

Moses Hess: Brief an Karl Marx

in Paris

Köln, 3. Juli 1844

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 434 f.]

Köln, 3 Juli 44

Lieber Marx!

Sie werden Ihre Verhaftung bereits in der M[annheimer] Abendztg gelesen haben, „natürlich nur für den Fall, dass Sie das preußische Gebiet betreten", was Sie hoffentlich bleiben lassen werden. Obgleich man sich's schon denken konnte, macht's doch einen schmerzlichen Eindruck, die brutale Gewalt zu Gesicht zu bekommen. Es ist aber gut, dass das Ding veröffentlicht worden; dies kann Ihnen in jeder Beziehung nur nützlich sein (obgleich die preußische Regierung nicht nötig hätte, Sie und Ihre Schriften zu verfolgen, da Sie auch ohne dies populär geworden wären, würde Heine sagen). Die Jahrbücher machten trotz einiger nationalen Esel und trotz ihrer sehr gehemmten Verbreitung großes Glück. Überall tauchen neue Sozialisten auf, namentlich ist die philosophische Partie ganz gewonnen. Sie werden schon aus den deutschen Zeitungen jetzt sehen, dass ich nichts übertrieben hatte, als ich Ihnen vor Kurzem das Umsichgreifen des Sozialismus schilderte. Die schlesischen Unruhen tun nun auch das Ihrige dazu.

In Kurzem wird das ganze gebildete Deutschland sozialistisch sein, und zwar radikal sozialistisch, ich meine kommunistisch. Die Triersche Zeitung fängt nun auch an, neben ihrem orthodoxen Fourierismus unsere Richtung zu vertreten. Diese Zeitung hat nur keine Redaktion und man kann eigentlich nicht von einer Tr. Ztg., sondern nur von ihren Korrespondenten sprechen. – Karl Grün, der immer besser wird, hat viel Verdienst um die Verbreitung unsrer Richtung in der deutschen Presse. Er ist unermüdlich. Wir leben hier zusammen und schießen täglich neue Breschen in das faule Gebäude unserer Zustände.

Dem Bauer legen Sie zu große Bedeutung bei; er hat sie nicht mehr. Betrachten Sie doch die Dinge, wie sie jetzt bei uns sind, nicht wie sie waren, und hüten Sie sich, in den Fehler der dort lebenden Deutschen zu verfallen, die, nachdem sie Jahre lang aus Deutschland sind, dieses immer noch auf dem Fleck sehen, wo es stand, als sie es verlassen haben. Bauer ist gerichtet, der alte wenigstens; und sein Aufkommen hängt lediglich von der Frage ab, ob er mit der neuen Bewegung gehen wird, oder nicht. Seine begeistertsten Anhänger, nicht nur hier, auch anderwärts – ich habe Leute gesprochen, die eben Deutschland bereist haben – wenden sich unwillig von ihm weg. Natürlich! Diese Anhänger sind es gewesen, weil sie radikal waren; nun sind alle die ehemaligen philosophischen Radikalen eben sozialistische Radikalen, da kann ihnen die „priesterliche" Behutsamkeit dieses Einsamen, der aus der Not eine Tugend macht – er ist einsam, er muss sich mit der Zensur vertragen, darum verteidigt er die Einsamkeit und die Zensur – natürlich nicht zusagen. Übrigens glaub' ich, dass Bauer wohl mit dem Sozialismus offen hervortreten würde, wenn seine Eigenliebe nicht auf Auskunftsmittel spekulierte, wie er den Schein vermeiden könnte, hinter uns nachzurücken, oder vielmehr, wie der Schein zu gewinnen sei, als wäre er ganz und gar aus sich, einsam, zum Sozialismus gekommen. Borniert ist das jedenfalls, aber es ist keine Borniertheit des Kopfes, sondern Borniertheit des Herzens, die freilich wieder in den Kopf zurück schlägt, so dass man doch gar nicht sagen kann, was aus dem Kerl wird, obgleich ich überzeugt bin, dass er in diesem Augenblicke radikal sozialistisch ist. Das geht namentlich aus einer Kritik Proudhons (im 6ten Heft seiner Monatsschrift) ziemlich klar hervor. Lassen Sie ihn jetzt nur laufen. Sie haben das Ihrige getan, ihm den letzten Stoß gegeben. Glauben Sie nicht, dass er sich anders wieder rehabilitieren kann, als durch ehrliches Mitgehen. Alles Andere macht ihn täglich verächtlicher. Voilà mon opinion! Man soll seinen Gegner nicht zu gering, aber auch nicht zu hoch schätzen, ihm nicht mehr Bedeutung beilegen, als er hat. Es zeigt von großer Bescheidenheit Ihrerseits, dass Sie nicht einsehen, wie Bauer durch Ihre Kritik vernichtet ist, wenn er sich nicht verteidigt, und dass es nur Eine Verteidigung für ihn gibt – das offene Geständnis seines bisherigen Irrtums. Freilich ist das kaum von ihm zu erwarten; hat er's doch mit Feuerbach in anderer Art eben so gemacht; nun, desto schlimmer für ihn!

Ich fürchte, dass man in einem Jahre von Bauer so wenig, wie vom großen Arnold Ruge sprechen wird. Unsere Zeit fällt sehr rasche Urteile. Wer nicht mit ihr geht, wird von ihr ignoriert und dann in die Reaktion getrieben.

Wo ist Strauß? Er schreibt, glaub' ich, Romane. Ruge wird Operntexte schreiben. Und, ach! die guten Althegelianer. Sic transit gloria mundi.

Zu etwas Anderem! Sie schreiben mir, die zweite Sendung von mir müsste noch vermenschlicht werden. Sie scheinen ganz vergessen zu haben, dass ich Sie um Rücksendung meines Aufsatzes ersucht hatte, weil ich selbst vieles darin ändern wollte. Wenn anders das „Vielleicht" meiner Dorthinkunft nicht bald zur Gewissheit wird (was nicht ich, sondern Sie wissen müssen) dann schicken Sie mir doch gelegentlich den Aufsatz retour aber keinesfalls per

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