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Karl Marx 18440817 Illustrationen zu der neuesten Kabinettsstilübung Friedrich Wilhelm IV.

Karl Marx: Illustrationen zu der neuesten Kabinettsstilübung Friedrich Wilhelm IV.1

[„Vorwärts!" Nr.66 vom 17. August 1844. Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 438-441]

Ich kann den vaterländischen Boden nicht, wenn auch nur auf kurze Zeit, verlassen, ohne öffentlich den tiefgefühlten Dank in Meinem und der Königin Namen auszusprechen, von dem Unser Herz bewegt ist. Er ist durch die unzähligen mündlichen und schriftlichen Beweise der Liebe zu Uns erzeugt worden, die das Attentat vom 26. Juli hervorgerufen hat, – der Liebe, die Uns im Augenblicke des Verbrechens selbst entgegen jauchzte, als die Hand des Allmächtigen das tödliche Geschoss von Meiner Brust zu Boden geworfen hatte. Im Aufblick zu dem göttlichen Erretter gehe Ich mit frischem Mute an Mein Tagewerk, Begonnenes zu vollenden, Vorbereitetes auszuführen, das Böse mit neuer Siegesgewissheit zu bekämpfen, und Meinem Volke das zu sein, was Mein hoher Beruf Mir auflegt, und Meines Volkes Liebe verdient."

Erdmannsdorf, den 5.August 1844.

(gez.) Friedrich Wilhelm"

Der unmittelbare Affekt ist ein schlechter Schriftsteller. Der Brief, den der Liebende in großer Aufregung der Geliebten schreibt, ist kein stilistisches Muster, aber eben diese Konfusion des Ausdrucks ist der klarste, sinnfälligste, herzergreifendste Ausdruck von der Macht der Liebe über den Briefsteller. Die Macht der Liebe über den Briefsteller ist die Macht der Geliebten über ihn. Jene leidenschaftliche Unklarheit und haltlose Verwirrung des Stils schmeichelt daher dem Herzen der Geliebten, indem das reflektierte, allgemeine und daher unzuverlässige Wesen der Sprache einen unmittelbar individuellen, sinnlich-gewaltsamen und darum absolut-zuverlässigen Charakter angenommen hat. Der verdachtslose Glauben an die Wahrheit der Liebe, welche der Geliebte für sie äußert, ist aber der höchste Selbstgenuss der Geliebten, ihr Glauben an sich selbst.

Aus diesen Vordersätzen folgt: Wir erweisen dem preußischen Volke einen unermesslichen Dienst, wenn wir die innere Wahrheit des königlichen Dankes über allen Zweifel erheben. Wir erheben diese Wahrheit aber über allen Zweifel, indem wir die Gewalt der dankbaren Empfindung über den königlichen Schriftsteller beweisen, und wir beweisen die Gewalt dieser Empfindung über den königlichen Schriftsteller, indem wir die stilistische Konfusion der danksagenden Kabinettsordre beweisen. Man wird also den Zweck unserer patriotischen Analyse nicht missdeuten.

Ich kann den vaterländischen Boden nicht, wenn auch nur auf kurze Zeit, verlassen, ohne öffentlich den tiefgefühlten Dank in Meinem und der Königin Namen auszusprechen, von dem Unser Herz bewegt ist."

Nach der Satzstellung glaubt man im ersten Augenblick, die königlichen Busen seien von ihrem eigenen Namen bewegt. Schärft die Verwunderung über diese sonderbare Bewegung das Nachdenken, so findet man, dass sich die relative Verbindung „von dem2 Unser Herz bewegt ist", nicht auf den Namen, sondern auf den weiter abstehenden Dank bezieht. Der Singularis „Unser Herz" für das Herz des Königs und das Herz der Königin kann als poetische Kühnheit, als herzlicher Ausdruck der herzlichen Einheit des herzlichen hohen Paars gerechtfertigt werden. Die lakonische Kürze: „in Meinem und der Königin Namen" statt: „in Meinem Namen und im Namen der Königin" verführt leicht zu einer falschen Deutung. Unter „Meinem und der Königin Namen" lässt sich der einfache Name des Königs verstehen, da der Name des Manns des Mannes und der Frau Name ist. Nun ist es zwar ein Privilegium der großen Männer und der Kinder, statt ihres „Ich" ihren Namen zum Subjekt zu machen. So darf Cäsar statt: „Ich siegte" sagen: „Cäsar siegte." So sagen die Kinder nicht: „Ich will in die Schule nach Wien gehen", sondern: „Friedrich, Karl, Wilhelm etc. will in die Schule nach Wien gehen." Eine gefährliche Neuerung aber wäre, sein „Ich" zum Subjekt zu machen und zugleich zu versichern, dies „Ich" spreche in seinem „eigenen" Namen. Eine solche Versicherung könnte das Geständnis, dass man gewöhnlich nicht aus eigener Inspiration spreche, zu enthalten scheinen.

Ich kann den vaterländischen Boden nicht, wenn auch nur auf kurze Zeit, verlassen"

ist eine nicht ganz geschickte und nicht eben das Verständnis erleichternde Umschreibung von: „Ich kann den vaterländischen Boden selbst auf kurze Zeit nicht verlassen, ohne etc." Diese Schwierigkeit entstand durch die Kombination der drei Gedanken: 1. dass der König seinen Boden verlässt, 2. dass er ihn nur auf kurze Zeit verlässt, 3. dass er das Bedürfnis fühlt, dem Volke zu danken. Die zu gedrängte Veröffentlichung dieser drei Gedanken bringt den Schein hervor, als spreche der König seinen Dank nur aus, weil er seinen Boden verlässt. War aber der Dank ein ernstgemeinter, strömte er aus dem Herzen, so konnte seine Äußerung unmöglich an einen solchen Zufall geknüpft sein. Voll' Herz macht sich unter allen Umständen Luft.

Er" (der Dank) „ist durch die unzähligen mündlichen und schriftlichen Beweise der Liebe zu Uns erzeugt worden, die3 das Attentat vom 26. Juli hervorgerufen hat, -der4 Liebe, die Uns im Augenblick des Verbrechens selbst entgegen jauchzte, als die Hand des Allmächtigen das tödliche Geschoss von Meiner Brust zu Boden geworfen hatte."

Man weiß nicht, ob das Attentat die Liebe oder die Beweise der Liebe hervorgerufen hat, um so weniger als der Genetivus „der Liebe" nach der Parenthese wieder als der herrschende und akzentuierte Redeteil des Satzes erscheint. Die stilistische Kühnheit in der Wiederholung dieses Genetivus springt in die Augen. Die Schwierigkeit wächst, wenn wir den Inhalt des Satzes betrachten. Durfte die Liebe, welche sprach und schrieb, unmittelbar als das Subjekt bezeichnet werden, welches auf der Straße lärmte? Erheischte nicht die chronologische Wahrheit, mit der Liebe zu beginnen, die sich sogleich in Gegenwart des Ereignisses äußerte, und dann erst zu den späteren Äußerungen der Liebe in Schrift und Rede überzugehen?

War nicht der Verdacht zu vermeiden, als wolle der König zugleich der Aristokratie und dem Volke schmeicheln? – der Aristokratie, indem ihre schriftlichen und mündlichen Liebesäußerungen, obgleich der Zeit nach später als die populären Liebesäußerungen, doch der Wirkung nach früher den Dank im königlichen Herzen zu erzeugen wussten; dem Volke, indem seine jauchzende Liebe für ein und dasselbe Wesen, wie jene schreibende und redende Liebe erklärt, also der Geburtsadel der Liebe aufgehoben wird? Es scheint endlich nicht ganz geeignet, Gottes Hand unmittelbar das „Geschoss" parieren zu lassen, indem einigermaßen konsequentes Denken auf diese Weise zu dem Trugschluss gelangen wird, Gott habe die Hand des Frevlers zugleich auf den König geleitet und zugleich das Geschoss von dem König abgeleitet; denn wie kann man eine einseitige Aktion Gottes voraussetzen?

Im Aufblick zu dem göttlichen Erretter gehe Ich mit frischem Mut an Mein Tagewerk, Begonnenes zu vollenden, Vorbereitetes auszuführen, das Böse mit Siegesgewissheit zu bekämpfen und Meinem Volke das zu sein, was Mein hoher Beruf Mir auflegt, und Meines Volkes Liebe verdient."

Man kann nicht wohl sagen: „Ich gehe", „etwas zu sein". Allenfalls kann man gehen „etwas zu werden". Die Bewegung im Werden erscheint wenigstens als Resultat der Bewegung des Gehens, obgleich wir auch die letztere Wendung nicht als korrekt empfehlen wollen. Dass Seine Majestät „im Aufblick zu Gott geht", das „Begonnene zu vollenden, das Vorbereitete auszuführen", scheint weder der Vollendung noch der Ausführung günstige Chancen zu versprechen. Um Begonnenes zu vollenden und Vorbereitetes auszuführen, dazu muss man den Blick fest auf das Begonnene und Vorbereitete richten, und nicht von diesen Gegenständen weg in die blaue Luft schauen. Wer wahrhaft „im Aufblick zu Gott geht", wird der „nicht im Anblick Gottes auf gehen") Werden dem nicht alle weltlichen Pläne und Einfälle vergehen? Der isolierte, durch ein Komma auf sich selbst verwiesene Schlusssatz: „und Meines Volkes Liebe verdient", scheint auf einen unausgesprochenen, versteckten Nachsatz zu deuten, wie etwa: „Verdient die Knute des Schwagers Nikolaus und die Politik des Gevatters Metternich"; oder auch: „verdient das Konstitutiönchen des Ritters Bunsen"'5.

1 Dieser Artikel ist der zweite und letzte Beitrag, den Marx im „Vorwärts! Pariser Deutsche Zeitschrift" veröffentlichte. Am 7. August 1844 hatte diese Zeitung den Artikel von Marx „Kritische Randglossen zu dem Artikel ,Der König von Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen'" veröffentlicht.

2 Hervorhebung von Marx

3 Hervorhebung von Marx

4 Hervorhebung von Marx

5 Gemeint ist die auf Veranlassung Friedrich Wilhelms IV. von dem Diplomaten Chr.C. J. Bunsen im April und Juni 1844 in Form von Denkschriften vorgelegten Vorschläge zur Reform der preußischen Verfassung.

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