Ludwig Feuerbach: Brief an Karl Marx in Kreuznach Bruckberg, zwischen 6. und 25. Oktober 1843 Erster Entwurf [Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 413-417] Eben war ich von dem zerstreuenden Departement der auswärtigen Angelegenheiten, die mich seit dem im April laufenden Jahres erfolgten plötzlichen Tod eines älteren Bruders beschäftigten, in die heimliche Kammer des Innern wieder zurückgekehrt und bereits im Begriffe, auf einen meinem Wesen und Berufe entsprechenden Gegenstand mich zu konzentrieren, als ich [Ihr] verehrtes Schreiben mit der Aufforderung erhielt, eine Charakteristik von Schelling in das neue von Deutschen und Franzosen gemeinschaftlich gegründete Journal zu liefern. Sie haben auf eine höchst einladende und geistreiche Weise mich zu einer Charakteristik Schellings aufgefordert. Sie stellten mir aufs Lebhafteste die Notwendigkeit einer solchen vor, indem sie mir bemerkten, dass man selbstständige Werke, wären sie auch noch so gründlich, wie die Schrift Kapps, absichtlich und offiziell ignoriere und mir als den einzigen passenden Ort, wo man sich frei zugleich und erfolgreich aussprechen könne, das gemeinschaftlich von Deutschen und Franzosen gegründete Journal bezeichneten. Sie teilten mir vorher noch ganz neue Tatsachen mit wie z.B. die, dass Sie als Redakteur der Rh. Zng. das Gebot erhalten, nichts gegen Schelling aufzunehmen und nennen daher Sch. das 38ste Bundesmitglied, kurz Sie haben mir die Ehre angetan, mich als den umgekehrten Schelling und folglich als den notwendigen, natürlichen Gegner Sch. zu definieren. Sie haben Alles angewandt, was einen so schwer vom Innern zum Äußern übergehenden Schriftsteller wie ich animieren kann. Aber dessen ungeachtet kann ich wenigstens für die nächste Zeit, so aufrichtig leid es mir auch tut, Ihrer Aufforderung nicht entsprechen. Seit dem im April laufenden Jahres erfolgten plötzlichen Tod war ich im Departement auswärtiger Angelegenheiten. Jetzt wo ich wieder in die Kammer des Innern gekommen bin, ist mir eine ernste, immanente Tätigkeit unerlässliches Bedürfnis, und folglich psychologisch unmöglich, auf eine so wesenlose eitle, transitorische Erscheinung als Schelling ist, meinen inhaltsbedürftigen Geist zu richten. Wo nicht die äußere Notwendigkeit mit der inneren zusammenfällt, da kann ich nichts tun, nichts leisten. Wo ich keinen Gegenstand vor mir habe, kann ich auch keinen Gegensatz bilden. Aber zu einer Charakteristik Sch. ist keine innere Notwendigkeit vorhanden. Sch. verdankt seinen Ruhm lediglich seiner Jugend. Was andre erst im Mannesalter erreichen mit Kampf und Mühe, das hatte er schon in der Jugend erreicht, aber eben deßwegen auch seine Manneskraft erschöpft. Wenn Andere am Schluss ihres tatenreichen Lebens sagen konnten, was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle – dieses kann der H. v. Sch. umgekehrt sagen: was ich im Alter wünsche, das hatte ich in der Jugend in Fülle – Namen, Ehre, Vertrauen Anderer in seine Talente und was mehr ist als Ehre und Namen – das Vertrauen Andrer zu mir. Sch. ist nicht nur von Andern gerichtet – er hat sich selbst gerichtet, sich selbst prostituiert. Das einzig zu Erklärende ist, wie er zu diesem Ruhm gekommen ist – zu dem Ruhm eines Genies der Originalität und Produktivität, da er nur die Gedanken Andrer wiedergegeben hat. Er ist es mehr geworden durch Andre, als durch sich, wie er heute noch ist nur durch Andre. Sein letztes Los entscheidet über sein früheres. Erkennen wir den Grund wie er jetzt noch imponieren kann, so haben wir auch den Grund gefunden, wie er einst imponieren konnte, und seinen früheren Leistungen eine Bedeutung geben, die weit über die Grenzen der Wahrheit gehen. Denn er hat auch damals nur den Idealismus des Gedankens in den Idealismus der Imagination verwandelt, den Dingen eben so wenig Realität eingeräumt als dem Ich, nur dass es andren Schein hatte, weil er an das bestimmte Ich das unbestimmte Absolute setzte, und dem Idealismus einen pantheistischen Anstrich gab. Was ist es nun aber, was heute noch Schelling zu einen scheinbar lebendigen macht? Ist es Er selbst? Ach! man öffne seine Vorlesungen und man fällt in Ohnmacht vor dem Leichengeruch dieser Duns Scotischen Scholastik und J[akob] B[öhmischen] Theosophistik, dieser nicht Theosophie sondern Theosophistik. Es ist der unlauterste und unsauberste Mischmasch von Scholastizismen, die nach dem Zeitalter des Petrus L[ombardus] riechen, von Theosophismen? Darin liegt also die Kraft und Bedeutung Sch. Außer ihm liegt sie – in denen liegt sie, die um ihre politischen und kirchlichen Interessen oder vielmehr Intrigen ins Werk zu setzen, irgend eines Namens eines Philosophen bedurften. Außerdem würde der Sch. noch eben so – übrigens zu seinem eignen Heil – im Dunkeln geblieben sein, wie er es in M[ünchen] [war] – höchstens nur in den untertänigen Köpfen einiger Dozenten seinen verwirrenden Spuk fort getrieben haben. Mit den Wölfen muss man heulen. Doch hat S. den Geistesverfall, der ihn jetzt emporhebt, selbst mit herbeigeführt. Was aber seine Philos. secunda betrifft, so ist sie lediglich schon dadurch widerlegt, dass sie an das Licht der Öffentlichkeit gezogen wird, denn sie konnte nur so lange existieren, als sie nicht existierte. Sie sehen und als Nichts erkennen, ist ein Akt. Ein großer Fehler dieses Eitlen, dieses ehrwürdigen S[chelling]s ist's, dass er diese Vorlesungen nicht für sich allein, sondern untermengt mit seinen wenn auch sehr scharfsinnigen, witzigen und richtigen Bemerkungen unterbrochen hat. Er hat den entgegengesetzten Fehler von L[eo] begangen: dieser hätt Ein Buch nur aus zweien, dieser aus Einem zwei machen sollen. Diese Offenbarung widerlegt sich selbst. Sie kann keine zwei Worte herausbringen, ohne dass eins das andre aufhebt. Es wäre auch ganz töricht, dagegen etwas zu sagen, denn es wird hier von vornherein Verzicht geleistet auf alle Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit des Denkens, auf jedes Kriterium der Wahrheit, auf jeden Unterschied zwischen Vernunft und Absurdität. Das Prinzip, ja das oberste höchste Wesen dieses ist das vergegenständlichte Wesen der zügel- und bodenlosesten menschlichen oder vielmehr unmenschlichen Absurdität. Sagen Sie dem H[errn] – was Sie hier sagen, ist sinnlos, ist ungereimt, ist abgeschmackt – so erwidert er: Unsinn ist der höchste Sinn, Narrheit Weisheit, Unvernunft ist der Superlativ der Vernunft, ist Übervernunft, Lüge ist Wahrheit – und Laster Tugend. Ihre Aufforderung über Sch. zu schreiben, hat mich wirklich so aufgeregt, mir aus Rücksicht gegen die Verdorbenheit der Zeit eine Charakteristik wie eine Pflichtnotwendigkeit vorgestellt, dass ich es über mich brachte, die Vorlesungen durchzulesen und die Eindrücke wiederzugeben, die ich dabei erfuhr. Aber das Resultat war das oben ausgesprochene. Solche theosophische Posse! Autopsie ist hier unerlässlich. Überdem habe ich – freilich nur in meiner kurzen, sich überall nur auf die Grundzüge und deren Konsequenzen beschränkenden Weise – das Wesen der sogenannten positiven oder wie P[aulus] richtig bezeichnet, putativen Philosophie sattsam gezeichnet. Ich könnte nur breiter machen, nur – freilich ad captum vulgi – nur ausführen nur bestätigen, was ich in Kürze bereits gesagt. Wesentlich Neues könnte ich nicht geben. Aber was sollte ich ein Interesse darin finden, Etwas schon Gesagtes wieder zu kauen. Nur daran könnte ich etwa ein Interesse finden, zu beweisen, dass die vielleicht Manchem anstößige Parallele zwischen C[agliostro] und Sch. – eine Parallele ist, bei der erst die durch sein Prädikat philosophisch oder spekulativ ausgedrückte Differenz zu übersehen sei, als eine der Wahrheit gemäße, ja als die den Nagel auf den Kopf treffende Definition Sch. zu beweisen. Aber auch dieses Interesse weicht einem höheren. Wenigstens kann ich nicht jetzt in dieser Zeit und hier an diesem Orte eine Erscheinung wie Sch. fixieren. Der Winter ist mir die heiligste Zeit – im Winter bin ich Nordländer, Idealist, Denker, im Sommer Realist, Südländer, Fleisch, Blut – und so ist dieser stille Ort nur ernster Beschäftigung geweiht. Wenn ich aber, wie ich hoffe, in eine Stadt ziehe, wo mir die Eitelkeiten des Lebens wenigstens als sinnliche Realitäten vor die Augen treten, wird es mir füglich, auch eine philosophische Eitelkeit gehörig ad coram zu nehmen. Ad coram? wie respektwidrig. Ganz richtig – aber ich habe auch nicht den geringsten Respekt vor dem H. v. Sch. |