Karl Marx: Stilistische Übungen der „Rhein- und Mosel-Zeitung" [„Rheinische Zeitung" Nr. 72-73 vom 14. März 1843. Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 434-436] *Köln, 13. März. Auf unsern Artikel vom 9. März über die Landtagsabgeordneten repliziert die „Rhein- und Mosel-Zeitung" von heute. Wir wollen unserm Leser einige Proben dieses stilistischen Meisterwerkes nicht vorenthalten. Unter anderen Delikatessen findet sich folgende: „So hat die ,Rhein. Ztg.' in weit ausgeholten Streichen zwar nicht mit einer Hellebarde, sondern mit ihrem gewohnten Knüttel1 auf ein Gespenst losgehauen" (man bedenke wohl! Ein gewohnter Knüttel! In Streichen mit einem Knüttel loshauen!), „das sie in einem Artikel der ,Rhein- und Mosel-Ztg.' zu erblicken glaubte, und, wie sich von selbst versteht" (welcher Luxus, Worte über Dinge zu machen, die sich von selbst verstehen!), „sind alle ihre Streiche daneben gefahren" (daneben gefahren! neben die „Rhein- und Mosel-Ztg.", also etwa auf ihren Redakteur!), „und das angegriffene"2 (das Gespenst wurde ja nur angegriffen!) „Blatt befindet sich durchaus unverletzt und unversehrt." Welche freigiebige Logik, die der Klugheit ihrer Leser nicht einmal den Schluss überlässt, dass Streiche, die neben das angegriffene Blatt, nicht auf das angegriffene Blatt gefallen sind! Welcher Verstandesluxus, welche gründliche Geschichtserzählung! Allein, man erwäge auch, wie interessant es der „Rhein- und Mosel-Ztg." scheinen musste, die Unversehrtheit ihres Rückens zu proklamieren. Wie sehr der herrliche Einfall von dem „Gespenst" und der „Rhein. Ztg.", die darauf los haut, und den abseits gefallenen Prügeln der Phantasie der „Rhein- und Mosel-Ztg." zusetzt, mögen folgende ebenso sinnreiche als überraschende Variationen dieses allergrößten Themas beweisen, bei deren Aufzählung wir nicht verfehlen wollen, auf die feinen Nuancen und Schattierungen aufmerksam zu machen. Also: 1. „So hat die .Rhein. Ztg.' vom 9. März in weit ausgeholten Streichen mit ihrem gewohnten Knüttel auf ein Gespenst losgehauen, das sie in einem Artikel der ,Rhein-und Mosel-Ztg. zu erblicken glaubte, und wie sich von selbst versteht, sind alle ihre Schläge daneben gefallen." 2. „Der Artikel aber, welcher die ,Rhein. Ztg." zur Geisterseherin" (vorhin war der Geist ein Gespenst, und seit wann hätte die „Rhein. Ztg." auch in dem ultramontanen Winkelblatt Geist gesehen!) „und infolge davon zur Heldin an einem Schatten gemacht."3 Also diesmal wäre wenigstens der Schatten der „Rhein- und Mosel-Ztg." getroffen worden! 3. „Allein die ,Rhein. Zeitung', welche sich dessen wohl auch bewusst ist, dass an allem Substantiellen, Wahren und Kernhaften" (dem Rücken der „Rhein- und Mosel-Zeitung"?) „ihre Kräfte zu Spotte werden" (und welche geistige Kraft würde nicht an einem Rücken zum Spotte?), „und die nun doch einmal zeigen will, dass sie Hörner" (der „gewohnte Knüttel" hat sich unter der Hand in „Hörner" verwandelt) „hat und zustoßen" (früher in weit ausgeholten Streichen loshauen) „kann, hat sich ein Gespenst ausgesonnen" (früher „gesehen" oder „zu sehen geglaubt"), „das sie für den eigentlichen Geist unseres Artikels möchte angesehen wissen" (eine Wiederholung, um dem Leser den Tatbestand ins Gedächtnis zu rufen!), „an dem sie nach Herzenslust ihren Mut kühlt und ihre Stärke erprobt" (eine tüchtige rhetorische Ausführung), „geradeso wie bei der Stierhetze die gereizte Bestie" (mehr oben war die „Rh. Ztg." „der Mann mit dem Knüttel", also wohl die „Rhein- und Mosel-Zeitung" die „Bestie") „an dem ihr vorgeworfenen Strohmann ihren Mut auslässt und sich nach der Zerfetzung desselben für den Sieger achtet."4 Wahrhaft homerisch! Man bedenke nur die epische Breite. Und wohl auch äsopisch dieses tiefe Eindringen in die bestialische Psychologie! Diese feine Deutung der Seelenzustände eines Stiers, der sich für den Sieger achtet! Es wäre „sehr kindlich und unschuldig", aber nicht minder „abgeschmackt und trivial", wollten wir mit einem so „eminenten Publizisten" auf die Sache selbst eingehen. Also nur zur Charakteristik des Mannes noch folgendes: Die „Rhein- und Mosel-Zeitung" äußerte in ihrem so unglücklich angegriffenen Artikel „nur" den „Zweifel", „ob mit der Erreichung ihrer" (sc. der Urheber des Umlaufschreibens über die Wahl der Herren C[amphausen] und M[erkens]) „Hoffnungen dann wirklich die Zeit der alten Hansen zurückgeführt sein würde", aber „von einer Zurückführung gewesener und verwester Zustände" ist in ihrem „Artikel keine Rede". Fasse es, wer es fassen kann! Ferner: Die „Rhein. Ztg." ging darauf aus, „eine offenbare Lüge anzubringen, indem sie sagt: .Unter den am Landtag zu vertretenden Interessen nennt5 die „Rhein- und Mosel-Zeitung" nur die freiere Gemeindeverfassung und die Erweiterung der ständischen Rechte', während in der .Rhein- und Mosel-Zeitung' der Zusatz zu lesen ist: ,Die Feststellung so vieler anderen schwebenden Fragen in der Entwicklung des Volkslebens.'" Hat denn die „Rhein- und Mosel-Zeitung" irgendeine dieser „schwebenden Fragen" fixiert oder gar genannt? Glaubt sie, solche unbestimmte Schwebeleien, wie die „Feststellung vieler anderen schwebenden Fragen", könne[n] für eine Namhaftmachung dieser Fragen für eine bestimmte Forderung an die Landtagsabgeordneten gelten? Und nun wende unser Leser noch einmal seine Blicke auf die stilistische Originalität der „Rhein- und Mosel-Ztg.": Zu „den Interessen, welche an demselben" (sc. dem Landtag) „zu vertreten sind", gehört „die Feststellung so vieler schwebenden Fragen in der Entwickelung des Volkslebens"! Eine in der Entwickelung des Volkslebens schwebende Frage! Eine zu vertretende Feststellung! 1 Hervorhebung von Marx 2 Hervorhebung von Marx 3 Alle Hervorhebungen von Marx 4 Alle Hervorhebungen von Marx 5 Hervorhebung von Marx |