Jenny von Westphalen: Brief an Karl Marx in Köln
[Nach Marx Engels Werke, Band 40, Berlin 1985 {bzw. Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968}, S. 644-646, vgl. Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 396-398] [Kreuznach, im März 1843] Obgleich bei der letzten Konferenz der beiden Großmächte über einen gewissen Punkt nichts stipuliert worden, auch kein Vertrag über die Pflicht der Korrespondenzeröffnung geschlossen war, folglich kein äußeres Zwangsmittel existiert, so fühlt sich doch das kleine Schreiverchen mit seinen schienen Locken im Innersten gedrungen, den Reigen zu eröffnen, und zwar mit den Empfindungen der tiefsten, innigsten Liebe und Dankbarkeit gegen Dich, mein lieb, gut, einzig Herzensmännchen. Ich mein, Du wärst noch nie lieber und süßer und herziger gewesen, und doch war ich jedes Mal entzückt, als Du schiedest und hätte Dich immer wieder zurückhaben mögen, um Dir noch einmal zu sagen, wie lieb, wie ganz lieb ich Dich hab. Aber das letzte Mal ist doch Dein Siegesabgang; ich weiß gar nicht, wie lieb Du mir warst im tiefsten Herzen, als ich Dich nicht mehr leiblich sah und nur Dein einzig treu Bild mir so lebendig vor der Seele stand in all seiner Engelsmilde und Güte, Liebeshoheit und Geistesglanz. Wärst Du doch jetzt hier, mein lieb Karlchen; wie viel Empfänglichkeit für Glück würdest Du in Deinem Wackerchen, Deinem Vifchen antreffen, und solltest Du mit noch so schlechter Tendenz, noch so böswilligen Absichten herausrücken; ich würde doch keine reaktionären Maßregeln ergreifen; ich würde geduldig mein Haupt hinlegen, dem bösen Buben es preisgebend. „Was", Wie? – Licht, was, wie, Licht. Denkst Du noch an unsre Zwielichtgespräche, unsre Winkpartien, unsre Schlummerstunden? Du lieb Herz, wie gut, wie lieb, wie nachsichtig, wie froh warst Du! Wie steht Dein Bild so glänzend, siegesstark vor mir, wie sehnt sich mein Herz nach Deiner steten Gegenwart, wie bebt es Dir entgegen in Lust und Entzücken, wie folgt es Dir ängstlich auf allen Deinen Wegen nach. Zum Passschritier, zum Merten in Gold, zum Papa Ruge, zum Pansa, überall begleit ich Dich hin und geh Dir vor und folg Dir nach. Könnt ich Dir doch die Wege all ebnen und glätten und alles wegräumen, was hindernd Dir entgegentreten sollte. Aber das ist nun einmal nicht unser Los, dass wir auch mit in des Schicksals Räder tatkräftig eingreifen sollten. Wir sind vom Sündenfall, von Madame Evas Verstoß her, zur Passivität verurteilt, unser Los ist das Warten, Hoffen, Dulden, Leiden. Höchstens wird uns der Strickstrumpf, die Nadel, der Schlüssel anvertraut, und was darüber, ist vom Übel; nur wenn es darauf ankommt, den Druckort der „Deutschen Jahrbücher" zu bestimmen, dann mischt sich ein weiblich Veto mit ein und spielt unsichtbar ein Hauptröllchen. Heut nacht hatt' ich über Straßburg ein klein wenig Gedankensprecher. Sollte es Dir nicht die Heimkehr verwehren, wenn Du Deutschland so an Frankreich verrätst, und wär es nicht möglich, dass Dir die liberale Souveränität auch mal zum Bescheide gäbe „Wandern Sie doch aus, oder vielmehr bleiben Sie doch fern, wenn es Ihnen in meinen Staaten nicht behagt". Doch das alles ist, wie gesagt, Gedankensprecher, und Gevatter Ruge wird wohl wissen, was zu tun ist, besonders wenn so ein Privat-Putchen im Hintergrund lauert und mit einer Separat-Bittschrift herausrückt. Also die Sache ruhe in Vater Abrahams Schoß. Heut morgen, als ich aufkramte, das Damenspiel wieder an Ort und Stelle brachte, die Zigarrenstummel auflas, den Aschenstaub wegfegte, die „Althäuschen" zu vernichten suchte, fiel mir beiliegendes Blatt in die Hand. Da hast Du den Freund Ludwig zerstückelt und ein Herzblatt hiergelassen.1 Bist Du im Lesen schon drüber hinaus, so hätt es noch Zeit gehabt; aber für den geehrten Herrn Buchbinder, im Fall eines Bandes, ist es doch dringend nötig. Da war doch das ganz' Werk verschimpfiert. Du hast gewiss noch mehr Blätter vertrödelt. Es war doch Jammer und schad. Hüt doch die losen Blätter. Nun muss ich Dir doch erzählen, was ich gleich, als Du weg warst, für Not und Malheur hatte. Einmal sah ich, dass Du Dein Näschen nicht versorgt und es Wind und Wetter und Luft und allen Wechselfällen des Geschicks preisgegeben hattest, ohne ein hilfreich Tuch mitzunehmen. Das machte mir primo arge Bedenken. Secundo kam der Barbier herein getrippelt. Ich dachte großen Profit zu machen, fragte mit seltener Lieblichkeit, wieviel der Herr Doktor ihm schulde – die Antwort 7½ Sgr. Ich zog also schnell das Fazit im Kopf und 2½ Gr. waren gerettet. Münze hatt' ich keine; ich gab ihm also in gutem Glauben, er werde wechseln – 8 Sgr. -Was tut der Hallunk. Er bedankt sich, steckt das Ganze ein, meine 6 Pf. waren fort, und ich hatte das Nachsehen. Immer noch war ich drauf und dran, ihn zu mahnen und verstand er meinen wehmütigen Blick nicht oder suchte die Mutter mich zu beschwichtigen – kurz und gut – die 6 Pf. waren dahin, dahin wie alles Schöne dahingeht. Das war mal eine Täuschung! Nun noch ein Toilettengegenstand. Ich war heut morgen aus und hab beim Kaufmann Wolf viele neue Spitzen gesehen. Kannst Du sie nicht wohlfeil bekommen oder sie durch jemand aussuchen lassen, so bitt ich Dich, lieb Herzchen, mir diesen Artikel zu überlassen. Überhaupt Herzchen wär's mir wirklich jetzt lieber, wenn Du nichts kauftest, Dein Geld für unterwegs spartest. Sieh Herzchen, da bin ich bei Dir, und dann kaufen wir zusammen, und betrügt man uns dann, geschieht's doch in Kompanie – bitte Herzchen, lass das Kaufen jetzt. Auch mit dem Blumengirlandchen. Ich fürcht', Du musst zu viel geben, und zusammen auszusuchen war doch gar zu nett. Gehst Du von den Blumen nicht ab, so nimm sie in rosa. Das passt am besten zu meinem grünen Kleid. Doch lieber wär mir's, Du ließest das ganze Geschäft. Gelt Herz, es ist besser, Du tust das erst, wenn Du mein rechtskräftig altarwürdig Männchen bist. Und dann noch eins, ehe ich's vergess. Forsch doch meinem letzten Brief nach. Es wär mir ärgerlich, wenn der in fremde Hände geriete. Seine Tendenz ist nicht grade sehr wohlmeinend, und seine Absichten sind grundlos böswillig. Haben sie Dich Ausreißerchen angebellt, als Du eingesprungen? Oder ließen sie Gnade für Recht ergehen? Ist Oppenheim retour und Claessen noch ein bißchen bös. Die Laffarge2 kommt, sobald als ich kann, nach. Hast Du Eiss3 schon den Hiobsbrief überantwortet? Sind die Passmänner willig? Lieb Herz, das sind so die dehors Fragen, nun kommt's ans Herzchen mitten hinein. Hast Du Dich auf dem Dampfer gut gehalten, oder war wieder eine Madame Hermann an Bord4. Du böser Schelm. Ich will Dir das mal vertreiben. Immer auf den Dampfschiffen. Dergl. Irrfahrten lass ich im contrat social, in unserm Heiratsakt, gleich mit Interdikt belegen und werden solche Abnormitäten verbaliter bestraft. Ich lass alle Fälle spezifizieren und mit Bußen belegen und schaff ein zweites hochnotpeinliches Landrecht ähnliches Eherecht. Ich will Dich schon kriegen. Gestern Abend war ich wieder todmüde, hab aber noch 1 Ei zugelegt. Also die Essaktien stehen nicht ganz schlecht und sind wie die Düsseldorfer Aktien im Steigen begriffen. Wenn Du kommst, stehen sie hoffentlich al pari, und der Staat garantiert die Zinsen. Doch nun ade. Das Scheiden tut weh. Herzensweh. Leb wohl lieb einzig, schwarz süß Heimelmännchen, „was, wie!“ Ei du Schelmengesicht. Talatta, talatta leb wohl, schreib bald talatta, talatta. 1 Wahrscheinlich ist hier die Rede von Ludwig Feuerbachs Schrift „Das Wesen des Christentums", die Marx wohl um diese Zeit erneut gelesen hatte. 2 Vermutlich meint Jenny von Westphalen die damals aufsehenerregenden Memoiren der Marie Lafargue (Laffarge), „Memoires de Marie Cappelle, veuve Lafarge, écrits par elle-même" (4 Bände, 1841-1842). 1841 war in Leipzig das Buch erschienen „Marie Lafarge, verurtheilt als Giftmischerin und angeklagt als Diamantendiebin. Criminalgeschichte der neuesten Zeit." 3 In den MEW E[…] und Fußnote „Der Name ist nicht zu entziffern“, hier wiedergegeben nach MEGA III.1, S. 397 4 in der Handschrift: Brede |