Arnold Ruge: Brief an Karl Marx in Köln Dresden, 1. Februar 1843 [Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 389-391] (Dresden 1 Febr. 1843. Ihr Brief, lieber Freund, brachte mir die erste Nachricht von dem neuen Schritt zur Selbstkastrierung des deutschen Geistes. Ich setzte mich gleich nieder, Ihnen zu antworten und war eben fertig, als Wigand von Leipzig kam und mich an der Absendung hinderte. Die Sache ist nämlich diese. Ich griff Ihren Vorschlag, den Boten zu redigieren gleich lebhaft auf und wollte eben an Herwegh schreiben, dass ich dies Anerbieten für ihn und Fröbel gleich wünschenswert fände; denn ich hatte schon früher daran gedacht, ob nicht Prutz den Boten mitredigieren und Herwegh beistehen sollte, da Herwegh allein die Sache doch vielleicht etwas zu schweizerisch anfangen möchte. Er hat die deutsche Schule weder literarisch noch philosophisch gründlich genug durchgemacht, Prutz dagegen ist ein literarisches Talent, wenn ihm auch das Philosophische abgeht. Prutz antwortete mir auf meinen Vorschlag, den ich einseitig als Projekt aussprach nicht, weil er mich heute in Leipzig erwartete. Ich bin nun aber durch ein Geschäft behindert und habe daher Wigand mit allem beauftragt. Wigand selbst meint nun, es wäre gut, wenn Prutz nach Zürich ginge und Herwegh würde am Ende gern mit Prutz zusammen operieren. Dagegen will Wigand die Jahrbücher gern in der Schweiz fortsetzen und meint, es könnten die beiden Journale sehr gut neben einander bestehen, wie sie es ohne das Verbot auch gemusst hätten. Dies leidet keinen Zweifel. Nur müssen wir die Jahrbücher umtaufen und wirklich umändern in ein ähnliches Institut wie die Revue independante, die mit vielem Geist redigiert wird, versteht sich, dass wir keine Romane hinein tun. Ich schlug also Wigand vor, mit Ihnen zusammen dies Unternehmen zu redigieren und es so einzurichten, dass Sie wenigstens 100 Louisd'or (550 rf Courant) davon hätten als Redaktionsanteil, ungerechnet das was Sie schreiben. Ich denke nämlich, wir können im Ganzen den Etat der Jahrbücher beibehalten und auf einen weit stärkeren Absatz rechnen, sobald wir die Politik und Publizistik durchgreifend traktieren und zugleich das Doktrinäre gänzlich über Bord werfen. Können Sie nun mit 550 oder 600 rf fixes Einkommen ausreichen? Dass Sie mehr als 250 rf an Schriftstellerhonorar erschwingen sollten, ist nicht wahrscheinlich, wenigstens gehört ein außerordentlicher Fleiß dazu, um es höher zu bringen. Im besten Fall also gewährt die Sache für den Anfang 850 cf. Könnten wir es zu einem populären Aufschwunge bringen, so wäre noch durch Erhöhung des Schriftstellerhonorars ein Zuschuss zu gewinnen. Der Etat der Jahrbücher war 15 Bogen den Monat = 180 Bogen. Redaktionshonorar 180 Louisd'or, Schriftstellerhonorar 360 Louisd'or. Das erstere ist nie ganz gezahlt worden, weil wir nie über 600 Abnehmer gehabt haben. Im letzten Jahr hat Wigand 429 rf für die Redaktion, in den vorigen 200 gezahlt. Erst im 6ten Jahr wollte er die ganze Summe zahlen. Die Chancen für unser Projekt sind aber bei weitem besser, weil wir uns geradezu als Fortsetzung und zwar als politische und popularisierte Fortsetzung geben, also die ganze Präzedenz der Jahrbücher für uns in Anspruch nehmen können. Dazu kommt, dass Wigand ein eigenes Etablissement zu dem Unternehmen braucht und dass Sie die ganze Besorgung des Arrangements und des korrekten Drucks übernehmen müssten. Dies müsste Ihnen noch etwas eintragen. So steht die Sache und Wigand begreift sehr gut, dass wir ein bedeutendes Organ schaffen können und die Jahrbücher mehr als zu ersetzen im Stande sein werden, sobald wir die radikale Philosophie auf den Boden der Pressfreiheit versetzen. Ich will Ihnen aber nicht verhehlen, dass Wigand den Ehrgeiz hat, Froebel und Herwegh (der sich mit Froebel assoziieren wird) nicht ohne Weiteres seinen Ruhm ernten zu lassen, der progressistische Buchhändler zu sein und die Bücher der letzten Bewegung zu verlegen. Wigand wollte daher durchaus nichts davon hören, als ich ihm eröffnete, man sollte jetzt alle Kräfte in den Boten werfen. Die Sache hat nun wirklich 2 Seiten, da es nicht in unserer Macht steht, frei über den Boten zu verfügen und allerdings das ursprüngliche Projekt desselben ganz alteriert werden würde, wenn wir uns mit unsern Gesichtspunkten hineinwürfen, die wir natürlich auch keine Ader von der Schweiz haben. Außerdem ist nun nach dem Verbot der Rhein. Zeitung die deutsche Oppositionspresse ganz zerstört und der Bote könnte schwerlich das ganze Gewicht derselben tragen. Der Bote muss die Rheinische Zeitung, wir das schwere Geschütz der Philosophie zu ersetzen suchen, beides aber eine wesentliche Wiedergeburt darstellen. Sind Sie einverstanden, so wollen wir jeder einen Prospekt entwerfen und dann zusammenkommen, um ihn zu redigieren und (ich würde Wigand mitbringen) den Kontrakt mit dem Buchhändler abzuschließen. Es werden natürlich noch einige Monate vergehen, und wir reisen nachher vielleicht gradezu miteinander in die Schweiz, wohin ich in der guten Jahreszeit meine Frau zu führen Willens bin. Herweghs Braut wird im März nach Zürich gehen. Ich ginge nicht gerne vor dem Mai, doch wenn es sein muss, kommen wir noch eher und sobald Sie wollen zusammen. Lassen Sie mich bald Ihre Meinung wissen und je spezieller desto besser. Das Eine muss feststehen, dass wir vorzugsweise die Fragen der politischen Krisen oder des allgemeinen Bewusstseins, wie es sich zu formieren anfängt, fortdauernd erörtern, also eine sehr verfängliche Publizistik etablieren. Wollen Sie mir gleich einen Entwurf, wie Sie sich den Prospekt denken, || und ob Sie mit der Basis, wie ich sie hier diskursive angegeben, einverstanden sind, zuschicken, so soll es mir sehr lieb sein. Wir müssen die Zwischenzeit benutzen, um uns so vorzubereiten, dass wir nachher ganz und geharnischt unter die Philister springen und ihnen den ganzen Brei mit Einem Schlage versetzen. Eine „2te Selbstkritik" der Halbheiten in den Jahrbüchern und der Zeitung, eine einfache Erzählung unserer reellen Befreiung aus diesen Fesseln, die ich eben so wie Sie mit Wollust empfunden habe – das wird eine kolossale Wirkung tun und muss die Einleitung bilden. Von den Berlinern hör' ich kein Wort. Bauer hat große Arbeiten vor und ist, wie immer fleißig, so erzählt mir Wigand. Sein Zorn auf uns möge sich verrauchen. Es ist weiter nichts mit ihm anzufangen, da er sehr übel motiviert ist. Die übrigen Berliner produzieren nichts Primitives und schreiben viel mehr, als sie denken; aber auch von ihrer Tätigkeit hab' ich gar keine weitere Kunde. Dagegen sind mir neue Bekanntschaften aufgegangen, die ich sehr hoch achte und die sich gern bei uns vernehmen lassen werden. Wir können ohnehin so superieur und gelassen mit dem Kram verfahren, dass alle Leute begreifen: Pressfreiheit sei keine Sintflut. Doch ich mache ein Ende, um desto rascher den Anfang des wahren Endes, den der Gott in unsre Hand gegeben, aufsteigen zu sehen. Lassen Sie bald von sich hören. Von ganzem Herzen Ihr A. Ruge. Grüßen Sie Jung schönstens. Was sagen denn die Aktionäre und die Rheinländer? |