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Trotzkis Theorie der permanenten Revolution 1915

Unter der „originellen Theorie“ Trotzkis versteht Lenin hier die trotzkistische „Theorie der permanenten Revolution“. [...] Im Jahre 1915 veröffentlichte Trotzki im Zusammenhang mit jenen Niederlagen Russlands und jener revolutionären Krise, denen Lenin den vorliegenden und die beiden vorangegangenen Artikel widmete, in der Pariser Zeitung seiner Gruppe, dem „Nasche Slowo“, im August und September einen Artikel „Dia militärische Katastrophe und die politischen Aussichten“. Er schrieb dort, dass die bürgerliche, kapitalistische Entwicklung Russlands die „Klassengegensätze innerhalb der Bauernschaft selbst“ derart entwickelt und die Bauernschaft derart in einzelne soziale Gruppen gespalten habe, dass „heute unvergleichlich mehr als 1905 die Frage der Herüberziehung der proletarischen und halbproletarischen Elemente des flachen Landes und nicht der Bauernschaft als Stand auf der Tagesordnung steht“. Aber auch die Heranziehung der halbproletarischen Elemente des flachen Landes, d. h. der Dorfarmut, zum Proletariat im revolutionären Kampfe hält er für etwas Zweifelhaftes. Sollte sie möglich sein, so jedenfalls nur bis zu einer ihm selbst unbekannten Grenze, hinter der offensichtlich ein Zusammenstoß zwischen ihnen erfolgen muss. „In welchem Ausmaße es der sozialistischen Avantgarde des Proletariats gelingen wird, die unteren Volksschichten, d. h. die ländliche und städtische Armut, in diesem Kampfe sich anzuschließen, und bis zur welchen Grenze sie sie hinter sich herführen wird – alle Annahmen in diesem Punkt haben eine nur sehr bedingte Geltung“, schreibt Trotzki. Das Proletariat wird somit im Kampf gegen den Zarismus allein bleiben müssen. Dies um so mehr, als „die Losung ,Nieder mit dem Kriege!', diese Ausgangslosung aller weiteren Bewegung des Proletariats, die Sozialdemokratie allen Parteien der bürgerlichen Gesellschaft entgegenstellt“. Daraus folge, dass man jetzt von einer nationalen bürgerlichen Revolution in Russland überhaupt nicht sprechen könne, sondern von der proletarischen Revolution sprechen müsse. „Wenn die ,Volks‘-Revolution im Jahre 1905 nicht zu Ende geführt werden konnte, so kann eine abermalige Volksrevolution, d. h. eine das ,Volk' gegen das alte Regime vereinigende Revolution nicht einmal auf die Tagesordnung gestellt werden.“ Jeder Gedanke an eine bürgerliche Revolution soll fallen gelassen werden. Aber die Revolution des Proletariats ist unter den Verhältnissen des Imperialismus, der seine fortschrittliche, „wirklich befreiende“ Aufgabe der Vereinigung der Welt zu einem wirtschaftlichen Ganzen erfüllt, nach Trotzki in einem einzelnen Lande unmöglich; darum „kann nur die internationale sozialistische Revolution eine solche Lage schaffen und jene Kräfte auf den Plan rufen, mit deren Hilfe der revolutionäre Kampf des Proletariats in Russland zu Ende geführt werden kann“. Das waren die Hauptargumente, mit welchen Trotzki im Jahre 1915 seine alte „originelle Theorie“ der permanenten Revolution begründete. Diese Argumente und den halsbrecherischen Sprung über das Bauerntum, über die noch ungelösten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution hinweg, den Trotzki dem Proletariat empfahl, unterzieht Lenin in seinem Artikel einer Betrachtung. Der trotzkistischen Theorie dieses Sprunges stellt er den Weg der Heranziehung der gesamten Bauernschaft und der Ausnutzung aller ihrer revolutionären Kräfte zum Sturze des Zarismus und der Gutsbesitzer entgegen, wodurch die Möglichkeit geschaffen wird, sofort nach diesem Sturz im Bunde mit dem Proletariat des Westens und natürlich mit der Dorfarmut in Russland bei Neutralisierung der Mittelbauernschaft zur sozialistischen Revolution überzugehen. [...] [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 5, Anm 42]

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