Das
Programm
der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, das auf dem
zweiten Parteitag im Jahre 1903 angenommen wurde, war zur Zeit der
zweiten russischen Revolution veraltet. Schon in seinen Aprilthesen
erklärte Lenin
die Umarbeitung des Parteiprogramms und die Änderung des Namens der
Partei für notwendig. Auf der Allrussischen Aprilkonferenz
wurde diese Frage unter Lenins Mitwirkung in einer Kommission
behandelt. Als Material für die Konferenz ließ Lenin in
Fahnenabzügen den „Entwurf
zur Umarbeitung des theoretischen, des politischen und einiger
anderer Teile des Programms" an die Delegierten verteilen.
Mangel an Zeit und der Umstand, dass vorher in der Partei keine
Diskussion darüber geführt wurde, bewog die Konferenz, von einer
endgültigen Umarbeitung des Programms Abstand zu nehmen Die
Programmkommission beschränkte sich darauf, eine Reihe einzelner
Abänderungen zu formulieren (es sind die „Bemerkungen
der Kommission" mit denen Lenin sich auseinandersetzt). Die
von der Kommission gewählte Unterkommission für Arbeiterschutz hat
außerdem einen „Abänderungsentwurf des wirtschaftlichen
Minimalprogramms" ausgearbeitet. Die Konferenz nahm auf Grund
des Leninschen Berichts, den er als Berichterstatter der
Unterkommission gab, eine allgemeine Resolution über die
Notwendigkeit der Änderung des Programms an und forderte die
Parteimitgliedschaft auf, über diese Fragen eingehend zu
diskutieren. [Lenin, Sämtliche Werke, Band 20.1, Anm. 147] Die von Lenin im Mai 1917 zusammengestellten „Materialien zur Revision des Parteiprogramms“ erschienen im Juni desselben Jahres als Broschüre. In Lenins Vorwort zu dieser Broschüre wird genau festgestellt, was er von diesem Material selbst geschrieben und was er redigiert hat als Ergebnis der Arbeiten der Allrussischen Konferenz der Partei vom April/Mai 1917. Auf dieser Konferenz bemerkte Lenin in seinem Referat über die Revision des Parteiprogramms: „In Parteikreisen ist schon lange vor dem Kriege darauf hingewiesen worden, dass das Parteiprogramm vollkommen veraltet sei.“ Um so „veralteter“ musste das Programm der SDAPR, das vom 2. Parteitag 1903 angenommen worden war, während des Krieges und nach der Februarrevolution sein, wo die Entwicklung des Weltimperialismus und der imperialistische Krieg die Frage der sozialistischen Revolution für die ganze internationale Arbeiterbewegung auf die Tagesordnung gestellt hatten und die weitere kapitalistische Entwicklung Russlands auf dem Wege des Imperialismus nach 1905-1907, der Weltkrieg und die „eigenartige Lage“, die sich in Russland infolge des Sturzes des Zarismus herausgebildet hatte, das Proletariat Russlands unmittelbar vor die Aufgabe des Übergangs zur sozialistischen Revolution stellten. Jetzt war der erste, allgemeine Teil des Programms schon ungenügend; denn hier wurde vom Kapitalismus, aber nicht vom höchsten Stadium seiner Entwicklung, dem Imperialismus, gesprochen, hier war von der Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs des Kapitalismus und der proletarischen Revolution in einer mehr oder weniger entfernten Zukunft die Rede, aber diese Revolution, der Kampf für die Diktatur des Proletariats war noch nicht auf die Tagesordnung gestellt. Ebenso ungenügend war der zweite Teil des Programms, das Minimalprogramm, das die Aufgaben des Proletariats in der bürgerlich-demokratischen Revolution formulierte, eben aus demselben Grunde, weil das Hauptsächliche, das Wichtigste nicht vorausgesehen war: der Übergang von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution, der diesem Übergang entsprechende „Typus“ des Staates und der Staatsmacht und die anderen diesem Übergang entsprechenden politischen und ökonomischen Forderungen. Die Partei musste, nachdem sie die Leninsche Plattform des Übergangs zur proletarischen Revolution angenommen hatte, ihr Programm damit in Übereinstimmung bringen. Lenin warf die Frage der Programmrevision auf und legte gleichzeitig der Partei die Plattform vor, die er in den „Aprilthesen“ formuliert hatte. Er stellte diese Frage auf der Konferenz der Partei, wobei er, wie schon aus seinem „Vorwort“ zur vorliegenden Broschüre hervorgeht, der Konferenz den „Entwurf zur Umarbeitung des theoretischen, des politischen und einiger anderen Teile des Programms“ vorlegte. Die Konferenz setzte zur Durchführung der Programmrevision eine besondere Kommission ein, die aus ihrer Mitte wiederum einige Sektionen bildete. Aber weder die Sektionen noch die Kommission selbst fanden genügend Zeit, diese Arbeit zu vollenden, und auf Antrag der Kommission, in deren Namen Lenin referierte, wurde die folgende Resolution angenommen: „Die Konferenz erkennt die Notwendigkeit der Revision des Parteiprogramms in folgender Richtung an: 1. Charakterisierung des Imperialismus und der Epoche der imperialistischen Kriege im Zusammenhang mit der herannahenden sozialistischen Revolution: Kampf gegen die Entstellung des Marxismus durch die sogenannten ,Vaterlandsverteidiger', die die Marxsche Losung ,Die Arbeiter haben kein Vaterland' vergessen haben; 2. Korrektur der Thesen und Abschnitte über den Staat im Geiste der Forderung nicht einer bürgerlich-parlamentarischen Republik, sondern einer demokratischen proletarisch-bäuerlichen Republik (d. h. eines Staatstypus ohne Polizei, ohne stehendes Heer, ohne privilegiertes Beamtentum; 3. Entfernung oder Verbesserung der veralteten Teile des politischen Programms; 4. Umarbeitung einer Reihe von Punkten des politischen Minimalprogramms im Sinne einer genaueren Herausarbeitung konsequenterer demokratischer Forderungen; 5. Völlige Umarbeitung des an sehr vielen Stellen veralteten wirtschaftlichen Teils des Minimalprogramms und der Punkte über das Volksbildungswesen; 6. Umarbeitung des Agrarprogramms entsprechend der angenommenen Resolution zur Agrarfrage; 7. Einfügung der Forderung der Nationalisierung einer Reihe hierfür reifer Syndikate usw.; 8. Ergänzung durch eine Charakteristik der Hauptströmungen des modernen Sozialismus. Die Konferenz beauftragt das ZK, auf dieser Grundlage den Entwurf eines Parteiprogramms binnen zwei Monaten auszuarbeiten und diesen Entwurf dem Parteitag zur Bestätigung zu unterbreiten. Die Konferenz fordert alle Organisationen und alle Parteimitglieder auf, die Programmentwürfe zu diskutieren, sie zu verbessern und Gegenentwürfe auszuarbeiten“. Nach der Konferenz arbeitete Lenin auf Grund des Materials der Konferenz einen Programmentwurf aus (siehe Kapitel 4), in welchem er auch seinen obenangeführten „Entwurf zur Revision usw.“ verarbeitete und den er im Auftrag des ZK zusammen mit anderen Materialien veröffentlichte. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 31] |
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