Das Erscheinen von „Staat und Revolution“ war ein überragendes, epochemachendes Ereignis in der Geschichte der Entwicklung der revolutionären Theorie und Praxis des Proletariats. Dieses Werk Lenins, das unmittelbar nach dem sozialistischen Oktoberumsturz in Russland erschien und die Wege der proletarischen Revolution, die Schaffung eines Staates der proletarischen Diktatur und die Entwicklungsbahnen dieses Staates beleuchtet und erläutert, war und bleibt eine Arbeit, die [...] für das internationale revolutionäre Proletariat im Kampf für den Sturz der Bourgeoisie, für die Errichtung der Diktatur des Proletariats von grundlegender Bedeutung ist. In der Geschichte des Kampfes um die revolutionäre Theorie und Praxis des Marxismus-Leninismus bildete Lenins „Staat und Revolution“ die unmittelbare Fortsetzung des von Marx und Engels selbst begonnenen und von Lenin und der bolschewistischen Partei seit der Entstehung des Bolschewismus unermüdlich weitergeführten Kampfes gegen die rechtsopportunistischen Entstellungen des Marxismus einerseits und gegen die „linken“, anarchistischen Entstellungen anderseits. Marx und Engels schmiedeten ihre Lehre einerseits im Kampf gegen den Liberalismus, den kleinbürgerlichen Reformismus (Lassalleanertum usw.) und anderseits im Kampf gegen den Anarchismus (Proudhonismus, Bakunismus usw.), gegen den, um mit Engels zu sprechen, „blutrünstigen Radikalismus“ und andere sogenannte „linke“ Strömungen, die nur die Kehrseite derselben kleinbürgerlichen Beschränktheit bilden, Strömungen, die den bürgerlichen Einfluss auf das Proletariat nur in einer anderen Form vermitteln. Mit der gleichen Unerbittlichkeit geißelten sie die Nachfolger des Lassalleanertums, die Reformisten in den Reihen der noch zu Lebzeiten von Marx und Engels entstandenen sozialistischen Parteien des Westens wegen ihrer opportunistischen Staatstheorie, ihres Unverständnisses und ihrer Ablehnung der Diktatur des Proletariats. Nach ihrem Tode nahmen mit der Entwicklung des Reformismus in den sozialistischen Parteien der II. Internationale diese Entstellungen des revolutionären Marxismus und der offene Verzicht auf ihn schon seil Ende des 19. Jahrhunderts große Ausmaße an und erfassten immer breitere Kreise der Theoretiker und Praktiker der II. Internationale (Bernsteinianertum usw.) Dieser Reformismus stieß im Westen bei jenen Theoretikern der II. Internationale nicht auf die nötige Abwehr, die sich wie Kautsky als Hüter des Vermächtnisses von Marx und Engels betrachteten und in der Rolle von Verteidigern des Marxismus gegen die Revisionisten (Bernstein u. a.) auftraten, in der Tat aber, trotz aller Kritik an den Revisionisten, gerade in der Kernfrage des Marxismus – in der Frage nach dem Staat, nach dem gewaltsamen Umsturz und nach der Diktatur des Proletariats – selbst zum Revisionismus hinab sanken, selbst, wie Lenin dies nachweist (siehe Kap. IV [sic!] in „Staat und Revolution“ und „Leninskij Sbornik“ XIV, „Der Marxismus über den Staat“. Moskau 1932, S. 78 ff., russ.), den Marxismus systematisch vulgarisierten und aushöhlten. Lenins Kampf gegen den Opportunismus war von Anfang an ein Kampf um die marxistische Theorie der proletarischen Revolution und um ihre Entwicklung unter neuen Verhältnissen – unter den Verhältnissen des sich entfaltenden Imperialismus, es war ein Kampf um die gewaltsame Revolution, um eine marxistische Einstellung zum Ausbeuterstaat, um die Diktatur des Proletariats. [...] Welchen ungeheuren Platz die Kernfrage der Revolution – die Frage des Staates und der Diktatur des Proletariats – in diesem ganzen Kampf einnahm, ist aus allen sechs vorherigen Bänden der Ausgewählten Werke ersichtlich, insbesondere aus folgenden Arbeiten Lenins: „Der ökonomische Inhalt des Narodnikitums und seine Kritik im Buche des Herrn Struve“, „Was tun?", „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“, „Das Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der ersten russischen Revolution von 1905–1907“, ferner aus „Was sind die ,Volksfreunde'?“usw. Es geht auch aus dem Artikel Lenins „Zur Geschichte der Frage der Diktatur“ hervor. Die
Spitze des Kampfes, der von Lenin geführt wurde, richtete sich vor
allem gegen den Opportunismus, insbesondere gegen die Bernsteinschen,
Martynowschen,
Plechanowschen
In den Kriegsjahren traten bei einzelnen Bolschewiki [...]„linke“ Entstellungen des Marxismus in der Frage des Staates in Erscheinung. Es handelt sich hier um die Gruppe Bucharin-Pjatakow. Diese waren zu einer im Grunde genommen anarchistischen Problemstellung in der Frage des Staates gekommen. Dieser Umstand trat bereits damals zutage, als sowohl sie wie auch die polnischen und deutschen „Linksradikalen“ ihre antimarxistische Position in der nationalen und kolonialen Frage verteidigten. Sie lehnten die Losung „Recht der Nationen auf Selbstbestimmung“ ab und behaupteten, dass diese Losung für die Partei des Proletariats, unter dem Kapitalismus unannehmbar und unter dem Sozialismus überflüssig sei, wobei sie die Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die Periode der Diktatur des Proletariats, der Existenz des proletarischen Staates, der ohne Anerkennung und Durchführung des Rechtes der Nationen auf Selbstbestimmung nicht aufgebaut werden kann, vollkommen außer acht ließen. Mit voller Bestimmtheit kam diese anarchistische Einstellung des Genossen Bucharin zur Frage des Staates in einem Artikel zum Ausdruck, der von ihm im Jahre 1916 in der Zeitschrift „Jugendinternationale“ unter dem Pseudonym Nota-Bene veröffentlicht wurde; er machte dort ein Gleichheitszeichen zwischen der marxistischen und der anarchistischen Einstellung zum Staat und identifizierte sie. Er behauptete, dass die Marxisten ebenso wie die Anarchisten prinzipiell dem Staat überhaupt feindlich gegenüberstehen, dass sowohl die einen wie die anderen sich die gleiche Aufgabe stellen, den Staat „zu sprengen“. Dadurch bestritt er erstens die marxistische Lehre, dass es für das Proletariat gilt, nach der Zerschlagung der Staatsmaschine der Bourgeoisie für die Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Sozialismus einen neuen, proletarischen Staat zu schaffen, bestritt also mit anderen Worten die Notwendigkeit der proletarischen Diktatur; zweitens hob er den prinzipiellen Unterschied zwischen der anarchistischen „Sprengung“ des bürgerlichen Staates und der marxistischen Zertrümmerung dieses Staates, der „Zerschlagung“, „Zerbrechung“ der Staatsmaschine der Bourgeoisie auf. Lenin widerlegte schon damals im Artikel „Jugend-Internationale“ diese anarchistische Einstellung Bucharins in der Frage des Staates und der Revolution und versprach, auf diese Frage noch in einem besonderen Artikel zurückzukommen. Gleichzeitig lehnte die Redaktion des „Sbornik Sozialdemokrata" („Sammelband des ,Sozialdemokrat“ “), an deren Spitze Lenin stand, einen Artikel Bucharins über die Theorie des imperialistischen Staates ab, in dem Bucharin ebenfalls diesen anarchistischen Standpunkt vertrat. Diesen Artikel veröffentlichte Genosse Bucharin nach Lenins Tode in dem Sammelband „Revolution des Rechts“ Nr. 1, 1925, und versah ihn mit einer besonderen Anmerkung, in der es heißt: „Die Leser werden sich leicht überzeugen, dass ich nicht den Fehler gemacht habe, den man mir zuschrieb, da ich die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats deutlich sah, anderseits ist aus der Notiz Lenins ersichtlich, dass er sich damals zur These von der Sprengung des (selbstverständlich bürgerlichen) Staates nicht richtig verhielt, da er diese Frage mit der des Absterbens der Diktatur des Proletariats vermengte … Nachdem sich Lenin mit dieser Frage beschäftigt hatte, kam er zu den gleichen Schlussfolgerungen über die Sprengung wie ich.“ Aus
dieser Anmerkung geht vollkommen klar hervor, dass Bucharin, der
Lenin beschuldigt, in der Frage der „Sprengung“ des Staates einen
„unrichtigen“ Standpunkt eingenommen zu haben, in der Tat auch
nach den Erfahrungen der Oktoberrevolution, nach den achtjährigen
Erfahrungen der proletarischen Diktatur und des Aufbaus des
proletarischen Sowjetstaates seine alte Stellungnahme beibehielt.
Ebenso wie früher verwechselte er die anarchistische „Sprengung
des Staates (selbstverständlich des bürgerlichen)“ mit der
marxistischen „Zerschlagung“, dem „Zerbrechen“ der
Staatsmaschinerie der Bourgeoisie. [...] aus Lenins Heft „Der Marxismus über den Staat“ [ist] [...] zu ersehen [...], welche Bedeutung Lenin dem Kampf gegen die anarchistischen Ansichten Bucharins über den Staat beimaß. So schrieb Lenin u. a. folgendes: „ … Von den Anarchisten trennt uns (α) die Ausnutzung des Staates jetzt und (β) während der Revolution des Proletariats (.Diktatur des Proletariats“) – Fragen von größter Wichtigkeit für die Praxis, sofort. (Gerade diese Fragen hat Bucharin vergessen!) Von den Opportunisten die tieferen, ,unvergänglicheren“ Wahrheiten vom (αα) ,vorübergehenden“ Charakter des Staats, vom (ββ) Schaden des ,Geredes“ über ihn jetzt, von (γγ) dem nicht ganz staatlichen Charakter der Diktatur des Proletariats, von (δδ) dem Widerspruch zwischen Staat und Freiheit, von (εε) der richtigeren Idee (dem Begriff, programmatischen Terminus) des ,Gemeinwesens' statt des Staats, von (ζζ ) der ,Zerschlagung' der bürokratisch-militärischen Maschine. Man darf auch nicht vergessen, dass die Diktatur des Proletariats von den offenen Opportunisten in Deutschland (Bernstein, Kolb u. a.) direkt, vom offiziellen Programm und Kautsky aber indirekt abgelehnt wird, indem man sie in der tagtäglichen Agitation totschweigt und das Renegatentum der Kolb und Konsorten duldet An Bucharin im August 1916 geschrieben: ,Lass Deine Gedanken über den Staat ausreifen.' Er aber ließ sie nicht ausreifen, kroch in die Presse als ,Nota Bene' und tat das so, dass er, anstatt die Kautskyaner zu entlarven, ihnen mit seinen Fehlern half!! Im Grunde genommen kommt aber Bucharin der Wahrheit näher als Kautsky …“ (ebenda, S. 160 f) Aus dem gleichen Anlass schrieb Lenin in einem Brief an die Genossin Kollontai vom 17 Februar/2 März 1917: „Ich bereite einen Artikel über die Frage der Einstellung des Marxismus zum Staat vor (habe das Material beinahe fertig vorbereitet). Bin zu Schlussfolgerungen gekommen, die noch schärfer gegen Kautsky als gegen Bucharin sind (haben sie sein ,Nota Bene' in der ,Jugendinternationale' Nr. 6 und im ,Sbornik Sozialdemokrata’ Nr. 2 gesehen?). Eine äußerst wichtige Frage: Bucharin ist viel besser als Kautsky, doch können die Fehler Bucharins dieser .gerechten Sache' im Kampfe gegen das Kautskyanertum verhängnisvoll werden“. Somit half der anarchistische Standpunkt des Genossen Bucharin und seine anarchistische Kritik am Opportunismus in der Frage des Staates nur der Kautskyanischen Vulgarisierung und Aushöhlung des Marxismus und stiftete dadurch im Kampf gegen das Kautskyanertum den größten Schaden. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 7, Anm. 1] |
Glossar >