Der Weltkrieg, der in den europäischen sozialistischen Parteien die schärfste Krise hervorrief, löste auch in den Kreisen einzelner wankelmütiger Elemente der bolschewistischen Partei, so insbesondere in den Kreisen gewisser im Ausland lebender Bolschewiki Kopflosigkeit und Schwankungen aus. Es gab sogar Fälle von freiwilligem Eintritt in die Armee. Das Manifest des ZK vom Jahre 1914, das die Stellungnahme zum Krieg fixierte und die Hauptlosungen gab, machte den Schwankungen in den Reihen der Bolschewiki trotzdem noch kein Ende. Unter den Schwankenden riefen die Hauptlosungen des Manifestes, die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg und die Niederlage des eigenen Landes, Widerspruch hervor. Einige Genossen beantragten, die erste Losung durch die Losung des „Kampfes für den Frieden“ zu ersetzen, und verwahrten sich entschieden gegen die Losung der Niederlage. Es gab auch Einwendungen in der Frage der Stellung zu den verschiedenen Strömungen in der russischen Sozialdemokratie. Die Zerfahrenheit eines Teils der Bolschewiki und die Notwendigkeit, alle revolutionären Elemente unter den Sozialisten der anderen Länder zu vereinigen, diktierten die Unerlässlichkeit eines gemeinsamen Beschlusses, der unter den Bolschewiki in allen sachlichen Fragen eine ideologische Einheit herstellte. Die Einberufung eines Parteitages oder auch nur einer breiteren Konferenz war unter den Verhältnissen des Krieges unmöglich. Lenin beschloss, eine Beratung der Vertreter der Sektionen der Bolschewiki im Ausland einzuberufen. Diese Konferenz der Auslandssektionen der Bolschewiki fand vom 27. Februar bis 4. März 1915 in Bern statt. Vertreten waren die Sektionen von Paris, Zürich, London, Genf, Bern, Lausanne und Baugy. Auf der Tagesordnung standen folgende Fragen: Berichte der Ortsorganisationen; der Krieg und die Aufgaben der Partei; die Aufgaben der Auslandsorganisationen; das Zentralorgan und die neue Zeitung; Stellungnahme zu den Kolonialfragen; Wahl des Komitees der Auslandsorganisationen. Das Referat über den Krieg hielt Lenin. Fr legte ihm das Manifest des ZK zugrunde. Die von Lenin geschriebenen und von der Konferenz angenommenen Resolutionen über den Krieg vertieften und entwickelten die einzelnen Thesen des Manifestes des ZK und zeigten die konkreten Schritte, die zu unternehmen waren, um im Westen sowie in Russland den imperialistischen Krieg in den Bürgerkrieg umzuwandeln. Eine Gruppe, bestehend aus den Genossen Bucharin, Krylenko, Rosmirowitsch u. a., trat auf der Konferenz als Opposition auf und legte eine eigene Resolution vor. Sie solidarisierte sich mit der Losung des Bürgerkrieges, lehnte aber die Losung der Niederlage entschieden ab, was sie damit begründete, dass die Agitation für diese Losung unter den vom Patriotismus ergriffenen Massen Empörung hervorrufen und die Massen von der Partei abstoßen werde. Sie schlugen vor, die Losung des Bürgerkrieges durch die Losung des „Kampfes für den Frieden“ zu ersetzen. Die Konferenz lehnte diese Losung ab. Der Kampf für den Frieden sei, wenn er nicht von revolutionären Handlungen gegen die eigene Bourgeoisie begleitet werde, nur geeignet, zum Verzicht auf den Klassenkampf zu führen. Die Propaganda dieser Losung sei mit der Losung des Bürgerkrieges unvereinbar. „Sie würde“ – schrieb Lenin – „nur ein kleinbürgerliches Wehklagen bedeuten. Wir aber müssen auch in der Frage des Krieges Revolutionäre bleiben. Auch unter dem Militär müssen wir den Klassenkampf propagieren." Diese oppositionelle Gruppe vertrat auch die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, die zu dieser Zeit zu einer Losung der Gruppe Trotzkis geworden war und von Lenin bekämpft wurde. Die Konferenz nahm diese Losung nicht in die Resolution auf, sondern beschloss, sie in der Presse zu diskutieren. Die Positionen der Gruppe Bucharin in der Frage der Niederlage, des Kampfes für den Frieden und der Vereinigten Staaten Europas näherte sich – wie überhaupt die allgemeine Position dieser Gruppe während der Kriegszeit – stark der Haltung Trotzkis. Darum ist es nicht zu verwundern, dass die Gruppe Bucharin, die eine versöhnlerische Haltung einnahm, vorschlug, zur Gruppe Trotzkis (der die Zeitung „Nasche Slowo“ in Paris herausgab) engere organisatorische Verbindungen herzustellen. Die Konferenz lehnte diesen Vorschlag ab und stellte die Notwendigkeit fest, sich von allen offenen und versteckten chauvinistischen Gruppen in der russischen Sozialdemokratie, darunter auch von der Gruppe Trotzkis, abzugrenzen. Die Berner Konferenz war von großer geschichtlicher Bedeutung, da sie eine wirklich internationalistische Plattform zur Vereinigung aller revolutionären Elemente sowohl der internationalen als auch der russischen Arbeiterbewegung lieferte. Ihre Resolutionen über den Krieg, betitelt „Konferenz der Auslandssektionen der SDAPR“, wurden in Nr. 40 des „Sozialdemokrat“ vom 29. März 1915 veröffentlicht. Eine ausführliche Begründung zu diesen Resolutionen gab dann Lenin in einer besonderen Broschüre „Sozialismus und Krieg“, die er unter Teilnahme Sinowjewsim August desselben Jahres schrieb. Im Vorwort dieser Broschüre, das die Bedeutung der Beschlüsse der Berner Konferenz im Vergleich mit der des Manifestes des ZK vom Jahre 1914 feststellt, heißt es, dass die Resolutionen der Konferenz „eine noch exaktere Darstellung unserer Grundsätze und unserer Taktik geben.“ [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 5, Anm. 26] |
Glossar >