Die Konstituierende Versammlung, die zweieinhalb Monate nach der Oktoberrevolution einberufen wurde, „war der Ausdruck des alten politischen Kräfteverhältnisses, als die Kompromissler und die Kadetten an der Macht waren", heißt es im Dekret des Allrussische Zentralexekutivkomitee am 21./8. Januar 1918 über die Auflösung der Konstituierenden Versammlung. Dass dies tatsächlich der Fall war, geht aus der Berechnung hervor, die Swjatizki bezüglich der Parteizugehörigkeit der Delegierten vorgenommen hat. Nach seinen Angaben wurden 703 Abgeordnete gewählt. (Es gibt keine Informationen über die Wahlen im Kaukasus, in Turkestan und in der Steppenregion.) Von diesen waren 299 rechte Sozialrevolutionäre, 39 linke Sozialrevolutionäre, 168 Bolschewiki, 15 Kadetten, 81 ukrainischen Sozialisten, 18 Menschewiki; Die übrigen 83 Mitglieder der Konstituierenden Versammlung waren in kleine nationalistische Parteien aufgeteilt. (N. V. Swjatizki, „Ergebnisse der Wahlen zur Allrussischen Konstituierenden Versammlung", veröffentlicht in „Land und Freiheit", Moskau, 1918) Es ist ziemlich klar, dass die Konstituierende Versammlung sich mit einer solchen Zusammensetzung der Sowjetmacht entgegenstellen konnte und musste. In der ersten Sitzung, am 5./18. Januar, nach der Wahl des Vorsitzenden (V. Tschernow wurde zum Vorsitzenden gewählt), fordert Genosse Swerdlow im Namen des Allrussischen Zentralen Exekutivkomitees die Konstituierende Versammlung auf, die „Deklaration der Rechte der arbeitenden und ausgebeuteten Volkes" zu verabschieden, die später Teil des Grundgesetzes der RSFSR wurde. Als die Konstituierende Versammlung sich in Form eines Protestes gegen die „Eindringlinge der Macht" weigerte, die Erklärung zu diskutieren, verließen die Bolschewiki die Versammlung. Ihnen folgten auch die Linken Sozialrevolutionäre. In der Nacht vom 19. zum 20. Januar erließ das Zentralexekutivkomitee ein Dekret über die Auflösung der Konstituierenden Versammlung und übertrug die gesamte Macht an die Sowjets. Unter dem Vorwand, die Konstituierende Versammlung zu verteidigen, versuchten die rechten Sozialrevolutionäre mit den Offizieren einen Aufstand, aber die von ihnen organisierte Demonstration zeigte nur, dass die Sympathie der breiten Massen nicht auf ihrer Seite war. „Das Volk dachte nicht daran, diejenigen zu unterstützen, die sich für gewählt hielten, die aber in Wirklichkeit Schatten der bereits erschöpften Periode der Revolution waren." Das Auseinanderjagen der Konstituierenden Versammlung, mit deren Einberufung die Alliierten Hoffnungen und Deutschland die Furcht verbanden, dass der Krieg mit den Deutschen wieder aufgenommen werde, verschlechterte unsere internationale Position und insbesondere die Stellung der Sowjetdelegation in Brest erheblich. So beschreibt Genosse Trotzki die Lage, die nach der Auflösung der Konstituierenden Versammlung entstanden war: „Die Deutschen befürchteten anfangs immerhin, dass wir uns mit der ,patriotischen' Konstituierenden Versammlung verständigen würden und dass diese Verständigung zum Versuch einer Fortsetzung des Krieges führen könnte. Ein derartiger sinnloser Versuch hätte allerdings die Revolution und das Land endgültig vernichtet. Das hätte sich indessen erst später herausgestellt, inzwischen aber die Deutschen neue Anstrengungen gekostet. Die Verjagung der Konstituierenden Versammlung diente dagegen als endgültiger Beweis unserer offenkundigen Bereitschaft, den Krieg um jeden Preis zu beenden. Kühlmanns Ton wurde sofort frecher. Und welchen Eindruck mochte die Verjagung der Konstituierenden Versammlung beim Proletariat der Entente-Länder hervorgerufen haben? Die Antwort darauf war nicht schwer: Die Ententepresse stellte das Sowjetregime unentwegt als eine Hohenzollernagentur dar. Und nun kommen die Bolschewiken und verjagen die „demokratische" Konstituierende Versammlung, um mit den Hohenzollern einen Schmachfrieden zu schließen, zu einer Zeit, wo Belgien und Nordfrankreich von deutschen Truppen besetzt sind. Es war klar, dass es der Bourgeoisie der Entente gelingen würde, unter den Arbeitermassen die größte Verwirrung anzurichten. Und das wiederum konnte eine kriegerische Intervention gegen uns erleichtern. Es ist ja bekannt, dass selbst in Deutschland, in den Kreisen der sozialdemokratischen Opposition, beharrlich das Gerücht verbreitet wurde, die Bolschewiken seien von der deutschen Regierung gekauft, und in Brest-Litowsk werde jetzt eine Komödie mit von vornherein verteilten Rollen gespielt. Diese Darstellung musste noch glaubhafter in Frankreich und England erscheinen.”(„Über Lenin“, S. 80).
Unter
dem Einfluss dieser Überlegungen vertrat
Genosse Trotzki in diesem Moment die Ansicht, dass die
Unterzeichnung des Friedens unter solchen Umständen eine Bestätigung
dieses Klatsches wäre, und stellte die Formel „weder Frieden noch
Krieg“ auf. [Trotzki, Sotschinenija 17.1] |
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