Der Artikel „Arbeiterpartei und Bauernschaft“ wurde im Jahre 1901, also am Vorabend des Aufschwunges der Bauernbewegung geschrieben, die im Jahre 1902 besonders im Süden Russlands außergewöhnlich großen Umfang annahm. Während es im Jahre 1900 – 48 und im Jahre 1901 – 50 Bauernaufstände gab, gab es deren im Jahre 1902 – 340. Am stärksten war die Bewegung in den Gouvernements Charkow, Poltawa und Saratow, wo zu den allgemeinen Ursachen – Knechtung und Ausbeutung durch den Großgrundbesitzer (die Abarbeit von Schuld- und anderen Verpflichtungen), das Wachsen der kapitalistischen Ausbeutung, die Verschärfung des Klassenkampfes auf dem Lande, der Einfluss der Arbeiterbewegung in den Städten usw. – noch besondere Ursachen kamen, wie die Missernte in diesen Gouvernements, durch die die ohnehin schwierige Lage der Bauern noch verschlechtert wurde. Die Bewegung der Bauern beschränkte sich aber auf einzelne Erhebungen, die in den folgenden Jahren infolge der grausamen Niederwerfung wieder nachließen: im Jahre 1903 gab es 141, im Jahre 1904 – 191 derartiger Erhebungen. Immerhin unterstrichen diese Erhebungen das Vorhandensein einer weit verbreiteten revolutionären Empörung in der Bauernschaft, und sie zeigten, dass das Land am Vorabend einer Revolution steht, dass die Zentralfrage dieser Revolution die Agrarfrage ist und dass die Bauernschaft in dieser Revolution die Rolle einer revolutionären Kraft spielen wird. Vor der Partei des Proletariats stand nun die Frage, ihre Stellung zur Agrar- und Bauernfrage sowie das Verhältnis des Proletariats zur Bauernschaft überhaupt und zu ihren einzelnen Schichten im besonderen festzulegen. Lenins
Artikel „Arbeiterpartei und Bauernschaft" war der erste, mit
welchem in der „Iskra“
die Hauptfragen des Agrarprogramms und der Taktik der proletarischen
Partei gegenüber dem Bauerntum erschöpfend und klar
auseinandergesetzt werden. Dass diese Arbeit programmatischen
Charakter hatte, hat Lenin selbst später hervorgehoben. Seine
Stellung zur Agrarfrage hat Lenin in einer ganzen Reihe von Arbeiten
niedergelegt, denen allen der folgende Hauptgedanke zugrunde
lag: „Als Grundtatsache auch auf dem Gebiete der russischen
Agrarverhältnisse betrachten wir den Klassenkampf. Wir bauen unsere
ganze Agrarpolitik (folglich auch das Agrarprogramm) auf der
unbeirrbaren Anerkennung dieser Tatsache und auf allen sich aus ihr
ergebenden Folgen auf. Es ist unser nächstes, wichtigstes Ziel, den
Weg zu bahnen für die freie Entwicklung des Klassenkampfes auf dem
Lande, des Klassenkampfes des Proletariats, der auf die
Verwirklichung des Endziels der internationalen Sozialdemokratie, auf
die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat und die
Schaffung der Grundlagen für die sozialistische Gesellschaft
gerichtet ist“. Die marxistische Methode des Studiums der
Verhältnisse auf dem Lande gab Lenin die Möglichkeit, das
Vorhandensein zweier Arten von Klassengegensätzen festzustellen:
einerseits der Gegensätze, die sich aus der kapitalistischen
Entwicklung auf dem Lande ergeben, d. h. der Gegensätze zwischen den
landwirtschaftlichen Arbeitern und dem Unternehmer, und anderseits
der Gegensätze zwischen der gesamten Bauernschaft im ganzen und der
Klasse der Großgrundbesitzer. Die nächste Aufgabe war nach Lenins
Meinung der Kampf gegen die Überreste der Leibeigenschaft, und an
diesem Kampfe musste die ganze Bauernschaft als Klasse teilnehmen.
Für Lenin war die Vernichtung der Leibeigenschaftsverhältnisse auf
dem Lande ein Teil des bürgerlich-demokratischen Umsturzes, d. h.
der Vernichtung des Absolutismus und der Herrschaft der Klasse der
Großgrundbesitzer. Dieser Umsturz war in seinem Wesen ein
bürgerlich-demokratischer, denn er vernichtete nicht den
Kapitalismus, die kapitalistische Ausbeutung, sondern nur alles das,
was die Entwicklung des Kapitalismus und damit die Entwicklung des
Klassenkampfes des Proletariats hindert. [Ausgewählte Werke, Band 2] |
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