Redaktion: Träume und Taten [Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 11, 28. Nov. 1917, S. 9] Die Petrograder französische Zeitung „L'entente", deren Name genügend über ihre politische Stellung belehrt, bringt einen Artikel unter obiger Überschrift, den wir gerne hier wiedergeben: „Wir sind von der Außen weit abgeschnitten. Die revolutionäre Regierung, welche die Macht in Petrograd ergriffen hat, folgt dem Beispiel aller revolutionären Regierungen und macht alles, was sie kann, um sich zu befestigen. Die Regierung Kerenskis unterhandelte und unterhandelt. Die Leninsche – auch wenn sie unterhandelt – handelt gleichzeitig, wie praktische Menschen, welche wissen, dass nur der nicht irrt, der nichts tut, dagegen der Tätige – freilich auch irren, dabei aber auch gewinnen und sein Ziel erreichen kann. Der Unterschied zwischen den beiden Regierungen ist der: Die Regierung Kerenskis sucht und zaudert. Die der Lenin und Trotzki stürmt und handelt. Die Letztere nennt man eine Regierung der gewalttätigen Aneigner und Verschwörer, und das mit Unrecht. Gewalttätige Aneigner – ja – wie alle revolutionäre Regierungen, die über ihre Gegner triumphieren Verschwörer – o, nein! Und die „Prawda" hat Recht, wenn sie in der Nummer vom 14. Nov. gegen die Anklage seitens Kerenskis Freunde, man hätte sich verschworen, um die Macht zu ergreifen, energisch protestiert. Nein, sie habe nicht konspiriert. Im Gegenteil, offen, kühn, ohne ihre Worte zu verschleiern, ohne ihr Ziel zu verheucheln, ohne ihre Tätigkeit zu verheimlichen, verbreiteten sie ihre Agitation, verstärkten sie ihre Propaganda in den Fabriken, in den Kasernen, an der Front, in der Provinz, überall, wobei sie das Datum des Aufstandes und des Sturmes gegen die Staatsmacht voraus bestimmten. Sie – Verschwörer? Aber was, nie im Leben! Und die, welche das behaupten, haben wahrscheinlich nichts gesehen, nichts gelernt, nichts gehört … Während dieser langen Monate waren sie von ihrem Traum ergriffen, wie es Kerenski tat, der seinem Traum vom Ruhme: in die Geschichte als Retter der Revolution, der Freiheit und des Rechtes ohne Gewalt, ohne Zwangsmaßregeln, ohne Todesstrafe einzutreten – Alles bis auf die elementarste Verteidigung seines Winterpalastes geopfert hat. Und jetzt, nach, dieser großen Probe, welche dem Lande sein Dasein kosten kann, werden wenigstens jetzt die Leute, in derer Händen Russlands Los gefallen ist, endlich begreifen, dass den Regierungen das Recht des Träumens nicht zusteht? Nur den Dichtern ist dieses Recht beschieden. Die Regierungen haben nur eine Pflicht, und die heißt: handeln. Gewiss, wenn es nicht zu spät ist.“ Soviel das Blatt. Wir überlassen es dem Verfasser, das Bild Kerenskis zu idealisieren; aber die Charakteristik zweier politischen Methoden ist ganz richtig. Kerenski und Konsorten haben Monate lang gesprochen, verhandelt, geschachert und die Revolution zu der Krise vom 7. Nov. gebracht. Die neue Regierung hat wenig Worte gesagt, aber sie hat schon Taten hinter sich, die Leser sollen selbst urteilen, ob man darauf eingehen kann, dass das Staatsruder aus der Hand der Männer der Tat gerissen und an willenlose, hysterische Träumer überliefert wird? |