PROZESSASPEKTE

Justizzugang zu schwerfällig?

Der juristische Zugang zum Migrationsproblem ist in der Schweiz auf einem sehr hohen Entwicklungsniveau und gesetzmässig gut abgesichert [Anhang 1]. Das Problem: aufgrund zahlreicher Rekursmöglichkeiten verzögert sich die Erstellung der definitiven Beurteilung, jahrelange Rechtsunsicherheit ist die Folge.

Gewisse Kreise fordern deshalb einen Abbau der Rekursmöglichkeiten und damit einen Abbau der Rechte der Migranten.

Die Frage ist deshalb gestattet, ob die aktuellen Prozessaspekte für die Beurteilung ob ein Asylbewerben legitim ist, zu häufig eine falsche Beurteilung generieren, welche dann eine Inflation von Rekursen zur Folge hat.

Kein Abbau der Verfahrensrechte

Die Grundzüge der Legitimitätsbeurteilung für Asylgesuche sind nachvollziehbar und schliessen die Situation im Herkunftsland des Migranten ein. Die Frage, ob gegenüber dem Migranten das Prozessverfahren genügend objektiv ist, muss aber gestellt werden dürfen. Wäre das Verfahren zu wenig objektiv, mithin eine gewisse Willkür einschliessend, sind Komplikationen für die Rückführung vorprogrammiert. Ein Abbau dieser Verfahrensrechte kann deshalb nicht die Antwort auf das Problem sein.

Verbesserungsmöglichkeiten im Beurteilungsprozess: befristeter Vertrag mit dem Migranten erhöht die Kooperationsbereitschaft

Verbesserungsmöglichkeiten könnten a) bei der objektiveren Beurteilung der Legitimität des Asylgesuches im präjuristischen Feld existieren, b) in einer Erhöhung der Kooperationsbereitschaft des Migranten mit den abklärenden Behörden, z.B. durch Erstellung eines zeitlich befristeten Vertrages mit dem Migranten und 2 Paten, welche den Migranten begleiten und die Rückführung vorbereiten. Dieser Vertrag umfasst die Eingliederung des Migranten in einen Arbeits- und Ausbildungsprozess, welcher ihm dann nach der Rückkehr in seine angestammte Region oder eine Region seiner Wahl nützlich sein könnte. Die Schweiz würde dabei vermehrt die Rolle der Ausbildnerin übernehmen und natürlich auch von seiner Arbeitskraft profitieren. Gleichzeitig würde ein für den Migranten für seine Existenz positiver Vertrag seine Kooperationsbereitschaft - auch betreffend dem wahren Migrationsgrund - erhöhen.

Objektivere Beurteilung der Wahrheit

Im Beurteilungsprozess, ob ein Asylgesuch tatsächlich legitim ist, muss letztlich die Wahrheit gefunden werden. Diese kann jedoch in den meisten Fällen nur annähernd vermutet werden, eine Schätzung also. Damit betreten wir das Feld der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Heute ist es ja so, dass Entscheidungsträger einen relativ grossen subjektiven Spielraum in der Wahrscheinlichkeitsprüfung erhalten. Er führt im eigentlichen Sinne ein Testverfahren durch, um die Wahrheit zu finden: echter Asylbewerber, falscher Asylbewerber. Die Qualität seines Tests lässt sich mathematisch darstellen. Dazu bedarf es eines zweistufigen Prozesses.

  1. Stufe: wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Asylgrund, welcher in der Schweiz Gültigkeit hat, im Migrationsland existiert?
  2. Stufe: wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass beim Migranten ein solcher Asylgrund existiert.

Dieses Vorgehen entspricht der heutigen Beurteilungspraxis. Zur weiteren Objektivierung könnten jedoch anhand von Wahrscheinlichkeitsberechnungen die vermutete Wahrscheinlichkeit überprüft werden. Vier Fragen müssen in der 1. Stufe beantwortet werden (Vierfeldertafel).

  1. Wie häufig wird ein legitimer Asylgrund im Herkunftsland vorgetragen (TP = TRUE POSITIVE)
  2. Wie häufig wird ein illegitimer Asylgrund im Herkunftsland vorgetragen (FP = FALSE POSITIVE)
  3. Wie häufig wird ein legitimer Asylgrund im Herkunftsland nicht vorgetragen (FN= FALSE NEGATIVE)
  4. Wie häufig wird legitimerweise kein Asyl im Herkunftsland gestellt. (TN=TRUE NEGATIVE)

Betragen in allen vier Feldern die Häufigkeiten 25%, dann ist ein echter legitimer Asylgrund mit 50% im Herkunfstland prävalent (TP+FN), das Resultat der Stufe 1 lautet somit 50%.

Zwei unabhängige Paten mit entsprechender Schulung beurteilen unabhängig vom Staat die Wahrheit im Asylanspruch des Migranten

Anhand von zwei Paten wird in Stufe 2 die Wahrscheinlichkeit für einen legitimen Asylanspruch geschätzt. Dabei werden die TP und die TN neu geschätzt, während die FP + FN vom Herkunftsland übernommen werden. Dazu werden folgende Formeln benötigt:

Im Falle eines positiven Tests:

  • PTP neg: [PV x (1 – SE)] / [PV x (1 – SE) + SP x (1 – PV)]

Im Falle eines negativen Tests:

  • PTP pos: (PV x SE) / [PV x SE + (1 – PV) x (1 – SP)]

PTP = Nachtest-Wahrscheinlichkeit oder Posttest Probability

PV = Prävalenz / SE = Sensitivität / SP = Spezifität.

1. Beispiel: Test gibt zu wenig Klarheit, aber schafft objektive Entscheidungsgrundlagen

  • die Bayes Formel berechnet die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines echten Asylantraggesuches unabhängig von der Meinung des Beobachters.
  • Im ersten Fall verneint Pate 1 mit 50:10 dass ein echter Asylgrund vorliegt, damit ist der Test negativ, die Nachtest-Wahrscheinlichkeit liegt bei 47%, Pate 2 bejaht mit 35:25 dass ein echter Asylgrund vorliegt, die Nachtest-Wahrscheinlichkeit beträgt 65%.
  • Demnach wäre hier ein Unentschieden vorliegend und die Paten können lediglich eine Empfehlung für oder gegen eine Ausweisung abgeben.
  • Die Politik muss entscheiden, ab welcher Wahrscheinlichkeit eine Ausweisung möglich ist, z.B. bei einer Wahrscheinlichkeit, dass ein echter Asylgrund vorliegt von < 15%.

2. Beispiel: ein jüdischer Migrant flieht vor dem Nationalsozialismus in die Schweiz. Trotz dysfunktionaler Beurteilung klarer Schutz für den Migranten zu fordern

  • Im zweiten Beispiel ist Pate 2 dysfunktional, das heisst, er verneint das Vorliegen eines echten Asylgrundes mit 90/2, obwohl aus historischer Perspektive betrachtet wahrscheinlich bei jedem jüdischen Migranten aus Nazideutschland kommend ein echter Asylgrund vorliegt.
  • Trotz dieser für den jüdischen Migranten schlechten Beurteilung sinkt die Nachtest-Wahrscheinlichkeit lediglich auf 93% (bei einer Vortest-Wahrscheinlichkeit oder Prävalenz von 95%).
  • Die Nachtest-Wahrscheinlichkeiten bewegen sich somit zwischen 93%-100%, dass ein echtes Asylgesuch vorliegt.
  • Daraus ist ersichtlich, dass auch dysfunktionale Entscheide für die Findung einer Empfehlung auf die berechnete Nachtest-Wahrscheinlichkeit einen nur geringen Einfluss haben wird.

Asylverfahren auf medizinischer, probabilistischer und soziologischer Grundlage: Grundzüge eines neuen Zugangs?

Das Problem bei diesem Testverfahren kann die Prävalenz oder Vortest-Wahrscheinlichkeit bilden.

Wird diese falsch eingeschätzt, hat dies einen wichtigen Einfluss auf die Nachtest-Wahrscheinlichkeit.

Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass die Situation im Herkunftsort des Migranten in die Schlussbeurteilung einfliesst.

Zudem kann die Prävalenz je nach politischer Entwicklung im Herzkunftsgebiet neu definiert werden.

Im Prinzip funktioniert die heutige Beurteilung gemäss diesem Verfahren, jedoch ohne klar definierte Zahlen. Damit ist die Gefahr von Willkür-Entscheiden viel grösser.

Die Berechnungen als excel Tabelle:

AsylAccuracy

Zusammenfassung

  • Die Legitimität des Asylanspruchs wird anhand einer neu zu entwickelnden Methode objektiviert.
  • Das hier vorliegende Modell ist rein theoretischer Natur und Bedarf der Validierung in der Praxis.
  • Die Anforderung an die Beurteilung der Grössen in der 4-Felder Tafel sind noch zu definieren, zu validieren und zu vernehmlassen.
  • Der geschilderte Weg ist kompliziert, aber innovativ und hat das Potenzial, auch für den Migranten den Prozess der Entscheidungsfindung transparenter - mithin akzeptabler - zu machen.
  • Wir sind gerne bereit, an der Entwicklung dieses Tools weiter zu arbeiten, ev. mit den Behörden.